Urbane Rekartografie und künstlerische Forschung 

Die Rekartografie verbindet sozialwissenschaftliche Forschungstraditionen mit künstlerischen Mitteln. Neben Praktiken der Ethnografie, des „Dérive“, der teilnehmenden Beobachtung oder der Feldforschung sind künstlerische Ausdrucksformen wie Fotografie, Malerei und Grafik elementare Bestandteile dieser Methode.

Das Palimpsest der Stadt


Die Stadt kann als eine Art Manuskript gesehen werden, das wie ein kostbarer Schreibgrund immer wieder neu überschrieben wird und damit auch als Speichermedium des Räumlichen zu verstehen ist. Mit anderen Worten: Auch wenn Orte kein immanentes Gedächtnis besitzen, so sind sie doch für die Konstruktion kultureller Gedächtnisräume bedeutsam, da sich in ihnen die Spuren vergangener gesellschaftlicher und politischer Diskurse wiederfinden lassen. (1)

Jede Einschreibung in den Raum, ob materiell, konzeptionell oder sozial, beeinflusst die Gestaltung der Stadt. Auf diese Weise hinterlassen die erstellten Karten, die offen oder versteckt in institutionellen und persönlichen Archiven aufbewahrt werden, ihre Spuren.

Dieses räumliche Palimpsest ist durch die Spannung zwischen Tauschwert und Gebrauchswert gekennzeichnet.  Politische und gesellschaftliche Diskurse spiegeln hier die sozialen Macht- und Eigentumsverhältnisse der Stadt wider.

Die Dokumente des Archivs offenbaren sich dem Betrachter in expliziter und impliziter Form: in Stadtplänen, Texten, Bildern und Erzählungen, in Räumen und Denkmälern, aber auch in Atmosphären, Wahrnehmungen und Träumen. 

Die Methode "Urbane Rekartografie" wurde erstmals im Jahre 2004 in der 3. Triennale zeitgenössischer Kunst Oberschwaben einem breiten Publikum vorgestellt.

1 Vgl. Assmann Aleida, Erinnerungsräume, München, 1999.

3. Triennale zeitgenössischer Kunst
Oberschwaben 

Auf die Frage, was INDUSTRIE-BRACHEN mit Kunst zu tun haben, antwortete Hermann-Josef Krug: "Ich befasse mich mit Formen gesellschaftlicher wie kultureller Transformation. Städtische Schrumpfungsprozesse sind eine Form des kulturellen Designs. Sie beinhalten immer auch einen tiefen Einschnitt in die soziale Bedeutung urbaner Räume. Folglich sind sie nicht nur für Investoren relevant, sondern auch für die dort lebenden Menschen und mich als Künstler. Meine Arbeit soll diesen Prozess widerspiegeln. Der Focus liegt, neben der Dokumentation und der Feldforschung, in der Inszenierung einer Symbolik des leeren Raumes (...)"

SULZER AREAL WINTERTHUR | 2003/04 | Ein Jahr recherchierte Krug, bis er sich an die künstlerische Umsetzung des Materials machte. Die Industriebrache, zentral in der Altstadt gelegen, geht auf die Gründung einer Eisengießerei im 19. Jahrhundert zurück. Daraus expandierte ein international operierender Konzern, der während seiner besten Zeiten weltweit an die 30 000 Mitarbeiter beschäftigte. Heute steht ein Großteil der Produktionshallen leer, nachdem in den 90er Jahren Umnutzungskonzepte scheiterten. Jedoch zog von den Rändern neues Leben ein, das Gegebene umdefinierend, auf neue Möglichkeiten abklopfend, improvisierend, sich selbst organisierend, allen voran die Winterthurer STREET-CULTURE. (...)

BITTERFELD/CHEMIEPARK | WOLFEN-NORD | Karwoche 2004 | Krug reiste für ein paar Tage in eine der Hochburgen des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaates und kehrte zurück mit einem Arbeitstagebuch und neuem Fotomaterial... Stichworte wie Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsflucht | Überalterung der Zurückbleibenden | Rückkehr der Natur in kontaminiertes Gelände | Gesprächsnotizen | Bildassoziationen, die an die TSCHERNOBYL- Katastrophe erinnern (...)

BOLANDEN/ALMERIA | 2003/04 | zwei Tatorte - eine Gruppe | Krug fotografierte eine idyllische oberschwäbische Teigwarenfabrik im Landkreis Ravensburg. Pegasus, eine Stuckarbeit auf dem Haus des Firmengründers, schließt kurz mit der farbigen Firmengeschichte des früheren Unternehmens, die derzeit von einem Heimatforscher aufgearbeitet wird. Das Areal ist längst in Umnutzung begriffen. Doch inzwischen ist es durch Kauf in die Hände einer Art Liebhaber-Gruppe übergegangen, die in Spanien, in der andalusischen Wüste, dem Hinterland von Almeria, so etwas wie ein Parallel-Unternehmen laufen hat.

Im Spätherbst 03 drückte Krug unter dem frischrenovierten Pegasus einem Teil dieser Gruppe standardisierte Kameras in die Hand, als der sich gerade in sein Winterquartier in der Wüste auf den Weg machte. Damit sollen sie ihre eigene Perspektive auf ihren dortigen Tatort dokumentieren, in einer zunehmend verwüsteten Wüste.

Seit Jahren arbeiten sie sich an verlassenen Wüstensiedlungen ab, die sie nach ökologischen Gesichtspunkten wiederzubeleben versuchen. Doch diese Arbeit wird immer schwieriger. Durch den expandierenden europäischen Markt stimuliert, mit seinem scheinbar unbegrenzten Bedarf an billigem Gemüse, frisst sich von Almerias Küste her eine wachsende Flut weißer Plastikgewächshäuser immer tiefer in die Wüste hinein. Vor sich her schiebt sie, neben Müllbergen, ungelöste soziale und ökologische Probleme. Afrika ist nah - auch der wilde Osten... Migranten/Nomaden, legale wie illegale, unterbezahlt und sozial unterversorgt, treffen hier auf eine einheimische Bevölkerung, der sie alles andere als willkommen sind: Konfrontation steht im Raum...

Waltrud Fabian 2004

Aus: Hausmann, Scheutle, Kawai und Czerny: Zeitzonen - 3. Triennale zeitgenössischer Kunst; Kloster Weingarten | 2004 | 

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© Urbane Rekartografie 2004 | Dr. Hermann-Josef Krug | Thurgauer Straße 15 c | 78224 Singen

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